zuletzt aktualisiert am
Donnerstag, 13. Oktober 2016

Körperliche Grenzerfahrungen

Heute wurde ich operiert. Zum zweiten mal in meinem Leben. Der Eingriff selbst war vergleichsweise harmlos. Die Begleitumstände brachten aber längst Vergangenes wieder an die Oberfläche.

Die erste Operation hatte ich 2001. Damals wurde nur eine Kleinigkeit gemacht. Trotzdem musste ich narkotisiert werden. Meine Frau war schon damals sehr aufgelöst, da man ja immer wieder von nicht mehr erwachenden Patienten hört.

Meine erste Narkose

Ich sah das Ganze wesentlich gelassener und der neuen Erfahrung gespannt entgegen. Ich versuchte mich bewußt zu konzentrieren - was mir genau eine Sekunde gelang - dann wars schwarz. Soweit der kurze Eindruck meiner ersten Narkose. Wesentlich interessanter war die Zeit danach.

Damals rauchte ich noch - und man empfahl mir, einige Stunden (genau weiß ich es nicht mehr) nach dem Aufwachen nicht zu rauchen. Einige Zeit hielt ich mich auch daran - in der Nacht überkam mich aber das Verlangen und ich ging in das Raucherzimmer. Am Ende der Zigarette spürte ich aber schon, wie ein leichtes Schwindelgefühl aufkam.

Am Weg zurück ins Zimmer war ich kurz vor dem Zusammenbrechen. Mühsam schleppte ich mich die letzten Meter auf allen Vieren zu meinem Bett. Zum Glück war es mitten in der Nacht und ich bin niemandem begegnet. Es war echt erniedrigend. Wahrscheinlich haben sich die Schwestern vor den Monitoren insgeheim über meine Blödheit zerkugelt.

Obwohl ich wirklich gerne geraucht habe und dies nur vermieden habe, wenn es mir wirklich grottenschlecht ging (also fast nie), möchte ich jedem Raucher raten, sich eindringlich an diese Empfehlung zu halten!

Meine erste Bewußtlosigkeit

Als mir dieses Ereignis durch den Kopf schoß, fiel mir ein noch weiter zurückliegendes ein. Damals erzählte meine Schwiegermutter sehr anschaulich von der Geburt meiner heutigen Gemahlin. Ich konnte mir das ganze Szenario offenbar so bildlich vorstellen, dass ich auf dem Weg in die Küche einfach bewußtlos zusammenbrach. Ein Zustand, den nicht jeder zu seinen Erfahrungen zählen kann.

Ich weiß nicht, ob es unterschiedliche Arten der Bewußtlosigkeit gibt. In meinem Fall konnte ich alles um mich herum hören und spüren, jedoch nicht reagieren. Ich spürte, wie mein Kopf auf dem Boden aufschug, wie die Verwandten aus dem Wohnzimmer angerannt kamen und mir der Schwiegervater auf die Wangen klopfte und mich ansprach.

Ich wollte sagen, dass es mir gut geht und ich nur einige Sekunden brauche um mich zu fangen. Allerdings kam kein Wort aus meinem Mund. Dann wollte ich die Hand heben und signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Aber ich konnte mich nicht bewegen.

Nach einigen Sekunden schoß offenbar das Blut tatsächlich wieder ins Gehirn und mein Zustand besserte sich.

Das beänstigende an dieser Erfahrung war aber, dass es offenbar genau derselbe Zustand war, den (Wach-) Koma-Patienten jahrelang haben! Wie erst in neuesten Gehirnforschungen festgestellt wurde, dürften auch diese Patienten alles mitbekommen - ebenso wie ich damals. Und wenn ich mir denke, diesen Zustand viele Jahre ertragen zu müssen, wird mir ganz anders. Gefangen im Körper mit seinen eigenen Gedanken - ohne diesen Ausdruck verleihen zu können - treibt einen wahrscheinlich irgendwann in den Wahnsinn.

Ich selbst kenne keine Betroffenen - aber vielleicht helfen diese Zeilen jemanden, der sich jahrelang neben seinen Verwandten setzt und mit ihm spricht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er auch gehört wird!

Mein erster Kreuzstich

Über diesen Umweg nun zurück zu meiner letzten Operation. Dieses mal wurde ich vor die Wahl gestellt, eine normale Narkose zu erhalten oder lieber einen Kreuzstich zu wählen. Ich ließ mich über die Risiken beraten und die Wahl der extremsten Möglichkeiten lautete: Gar nicht mehr aufwachen oder eine Querschnittslähmung. Ich entschied mich für letzteres - meiner Frau zuliebe, aus Neugier (die Narkose kannte ich ja schon) und aus rationellen Gründen. Andere hätten sich vielleicht anders entschieden. Es soll ja auch Leute geben, die den Tod einem Leben im Rollstuhl vorziehen.

Am Tag der Operation also der Kreuzstich: Die Anästhesistin tastet die Wirbel ab und sticht irgendwo dazwischen hinein. Ich spüre Blutstropfen herablaufen - und mir wird schwindelig. Ich kann mir die unmöglichsten Sachen anschauen - aber beim eigenen Blut setzt das Hirn irgendwie aus. In diesem Zustand höre ich die Ärztin nach einer längeren Nadel verlangen. Mir wird ein wenig unwohl bei diesem Gedanken. Ich spüre ein dumpfes Ziehen - ähnlich einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt - um die Wirbelsäule.

Schön langsam beginnt es in den Beinen zu kribbeln. Genau so als würden diese bei einem langen Fernsehabend einschlafen. Nach einiger Zeit ist das linke Bein komplett taub. Man sticht zur Kontrolle drauf herum und ich spüre nichts.

Das Problem ist aber, dass der rechte Fuß operiert werden soll - und den spüre ich nach wie vor. Immer wieder testet die Schwester und fragt der Arzt - und dauernd spüre ich was. Man erklärt mir, dass es kein Problem wäre, wenn ich etwas spüre - es darf nur nicht weh tun. Trotzdem bin ich ziemlich verunsichert.

Nachdem ich so ungedulig und aufgekratzt war, gibt man mir offenbar ein starkes Beruhigungsmittel. Plötzlich bin ich auf einem Trip und die Neonröhren fliegen nur so an mir vorbei. In diesem Zustand spüre ich, wie der Arzt die beiden Rohre für die Arthroskopie in das Gelenk schiebt und mit seinem Werk beginnt.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wegen des starken Beruhigungsmittels nichts spüre oder wegen des Kreuzstichs. Nachdem ich eine Zeit lang meinen Mund gehalten habe, dürfte man das Mittel wieder abgesetzt haben und ich werde zusehends klarer.

Ich spüre tatsächlich, wie an meinem Fuß herumgezerrt wird und ich höre, wie man im Gelenk meißelt und fräst. Aber es schmerzt überhaupt nicht. Manchmal spricht der Arzt auch mit mir. Das linke Bein ist noch immer taub, das rechte kribbelt. Gegen Ende der Operation beginnt es zu ziehen - wahrscheinlich lässt hier schon die Betäubung der Wirbelsäule etwas nach. Aber es tut trotzdem nicht wirklich weh.

Auch dies war wieder eine Erfahrung für sich. Es wurde einem klar, was es bedeutet ohne Beine leben zu müssen. Man lernt seine Mobilität wieder zu würdigen und zu schätzen. Und man nimmt es sich zu Herzen, wenn einem (zum hundertsten male) gesagt wird, dass man doch abnehmen solle.

Andernfalls würde nämlich die Operation keine wesentliche Besserung bringen und mit dem Gehen wäre es in ein paar Jahren dann tatsächlich vorbei.